Philosophie der Kommunikation
Bernhard Pörksen im Gespräch mit Catherine Newmark
Ein Beitrag von Deutschlandfunk Kultur, Juni 2017

„Unsere Gesellschaft leide unter einem Aufmerksamkeitsdefizit, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Deswegen sei „echtes, wahres Zuhören“ selten und kostbar geworden. Doch wie kann diese Tugend gestärkt werden in Zeiten des permanenten Lärms?

Bernhard Pörksen zufolge lässt sich „echtes, wahres Zuhören“ – ein Ereignis, das gerade in Zeiten des permanenten Lärms selten und kostbar geworden ist – philosophisch als fast spirituelles Ereignis bestimmen: „Zuhören ist der Sehnsuchtsort par excellence. Es gibt fast nichts Beglückenderes als gehört zu werden.“ Denn darin liege eine „vollständigen Akzeptanz des Anderen. Also: Ich lasse den anderen in einer Weise an mich heran, dass er sich tatsächlich zeigen kann – in seiner Fremdheit, seiner Andersartigkeit, seiner Schönheit, seinem Schrecken.“

Zuhören in diesem Sinne lässt sich Pörksen zufolge weder planen noch befehlen. Man könne jemandem befehlen, zu reden – aber wer von jemandem fordere, er solle zuhören, der habe keine Kontrolle darüber, ob seiner Aufforderung auch Folge geleistet würde. „Der Akt des Zuhörens ist anders als der Akt des Redens ein Akt der Freiheit: Er setzt Autonomie voraus“ erklärt Pörksen. „Das Zuhören in diesem tiefen Sinne ist ein Geschenk“.

Was die Kommunikation im Alltag betrifft, die meist prosaischer abläuft, so trifft Pörksen eine Unterscheidung zwischen zwei Formen des Zuhörens oder der Aufmerksamkeit, nämlich einer egozentrischen und einer nicht-egozentrischen. Ersteres nennt Pörksen auch Zuhören mit dem „Ich-Ohr“, ein Zuhören, das geleitet sei von der Frage: „stimme ich mit dem überein, was der andere mir sagt“, mithin an dem Wunsch nach Bestätigung orientiert sei. Demgegenüber sei das Zuhören mit dem „Du-Ohr“ geleitet von der Frage: „in welcher Welt ist das, was der andere mir sagt, sinnvoll? In welche Welt passt es hinein?“
Alle Skandale gründen auf fehlendes Zuhören.

Für die aktuelle politische Diskussionskultur und die zunehmende Zersplitterung der Gesellschaft in mediale Filterblasen stellt sich sofort die Frage, wie das offensichtlich rar gewordene Zuhören mit dem „Du-Ohr“ gestärkt werden kann. Pörksen beantwortet diese Frage mit dem Hinweis auf die Kosten, die aus Nicht-Zuhören folgen. Alle Skandale haben ihm zufolge ihren Ursprung in einem fehlenden Zuhören im System.

Für die politische Diskussionskultur stellt er „Wachstumsschmerzen der Medien- und Kommunikationsevolution“ fest, wir befänden uns „in einer Phase der mentalen Pubertät“ beim Umgang mit den neuen Medien. Soziale Netzwerke milderten ganz offensichtlich die Isolationsfurcht des Menschen – „das Medium radikalisiert das Bestätigungsdenken des Menschen, das ohnehin in uns angelegt ist“.

Die Frage, wie wir aus diesem egozentrischen Bestätigungskreis ausbrechen können, will Pörksen aber keineswegs bloß mit einer pastoralen Aufforderung zum sorgsameren Zuhören beantworten. Denn, so erklärt er abschließend: Im Zuhören kann auch eine politische Gefahr liegen. Es gäbe durchaus gute Gründe, sich zu entscheiden, politisch Radikalen nicht zuzuhören „weil dieser Akt des Zuhörens eben nicht nur ein Bemühen um Verstehen ist, sondern es ist auch ein indirektes Verständnis-Haben“. Und dieses Verständnis-Haben könne dann auch unversehens in Einverständnis münden.

Es gibt also, so stellt Pörksen abschließend klar, durchaus und mit guten Gründen „Grenzen des Zuhörens“.“